Ausstellung in der Galerie Wagner, Wallisellen
von Corinne Wagner, Kunsthistorikerin und Galeristin, Zürich

Alle Bilder werden «Ohne Titel» dargestellt. Das bedeutet, dass die Bildfläche an sich das Thema der Arbeit ist. Zugleich ist das eine Aufforderung hinzuschauen und nicht zu fragen. Bei einer genauen Betrachtung erschliessen sich unerwartete Tiefen.

Zum Teil sind die Tafeln in geometrische Felder eingeteilt, zum Teil überzieht ein Farbnetz im gleichen Ton die ganze Fläche. Was auf Distanz aussehen kann wie ein dreidimensionales Gewebe, erweist sich aus der Nähe als vielschichtiger Farbauftrag. Die oberste Schicht – zum Beispiel in starkem, blautonigen Grün – liegt wie ein lockeres Fasergeflecht auf einer helleren Unterlage, die aber selbst wieder durchlässig ist, und andere Schichten erkennen lässt. Als visuelle Assoziation erscheint: Rinde, ausgetrocknete Erdscholle, eine gekräuselte Wasserfläche, die feinsten Nerven eines völlig vertrockneten Blattes. Der Betrachter ist eingetaucht in die Welt einer ganz stillen Bildtafel ohne Titel, in die Tiefe einer geheimnisvollen Farbe.

Andere Werke sind geometrisch strukturiert.

Verschiedene Farben, meist dunkeltonig, sind rechteckigen Flächen oder Bändern
zugeordnet, zum Teil ist das Quadrat der Bildform in vier Teile geteilt. Die Grundstruktur der Malfläche bleibt durchgehend gleich. Damit bleibt auch bei starken Farbkontrasten eine Einheit bestehen, die äussere Ruhe bleibt erhalten.

Wie enstehen diese Werke, die nach aussen so einheitlich wirken und in der Tiefe so komplex sind? Das Geheimnis liegt in der Vielschichtigkeit. Der Künstler spachtelt weisse Acrylfarbe auf den Malgrund – meistens Papier, das vor oder nach der Bearbeitung auf eine Aluminiumplatte aufgezogen wird. Danach beginnt er Farbschichten aufzuspachteln, abzuwaschen, nach dem Trocknen wieder zu bestreichen – ungezählte Male. Daher auch die Helle in der Tiefe. Die organischen Strukturen entstehen, wenn Farbe, Wasser oder verdünnte Farbe sich sammelt oder abläuft auf der unebenen, gespachtelten Unterlage.

Die grossen Tafeln wirken auf Distanz ausgeglichen durch das Gleichgewicht der Farbtöne. Selbst starkes Rot-Gelb wird durch die verschiedene Struktur der einzelnen Flächen gezähmt. Einige Teile sind in Pinseltechnik ausgeführt. Gegen die gespachtelten Unebenheiten wirken sie glatt und glänzend. Die ganz grosse Tafel erhält durch das Feld in dichtem Dunkelrot eine besondere Tiefe. Nicht vergebens verweisen die frühen, dunkeln Tafeln von Reto Casanova explizit auf den grossen Rothko.



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